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Die Konditorei Wiedamann am Ingolstädter Rathausplatz ist das letzte Relikt der guten alten Kaffeehaustradition

Von Denise Steger

Man geht leicht daran vorbei, ohne es groß zu beachten. Es steht so selbstverständlich an der Ecke des Rathausplatzes, dass man es als Ingolstädter gar nicht mehr bewusst wahrnimmt. Es wirkt etwas baufällig. Doch innen in die Konditorei Wiedamann und dem zugehörigen Café bietet sich ein ganz anderes Bild: Alles ist auf Hochglanz poliert, es ist charmant, beschaulich. Die alten Biedermeier-Sofas atmen den Geist vieler Jahrzehnte. Es ist wie ein Schritt zurück in die Vergangenheit, in ein Ingolstadt vor unserer Zeit. In eine gemütliche Zeit, jenseits aller Hektik, in der man noch zum Kaffee trinken ging und nicht auf den schnellen Espresso im Stehen. Und wenn man auf einem der Sofas Platz genommen hat, dann kann es sein, dass sich ein klein wenig Wehmut breit macht, Erinnerungen an eine alte Liebe aufkeimen, an eine Liebe, die im Lauf der Jahrzehnte unter die Räder des Zeitgeistes gekommen ist.

Das Café Wiedamann ist die einzige reinrassige Konditorei, die Ingolstadt noch hat. Und es gibt sie schon seit 1894. Im Moment führt Fritz Wiedamann das traditionsreiche Geschäft. Er macht all die kleinen Leckereien, die es in seinem Laden zu kaufen gibt, noch selbst. Und er kennt die Geschichte dieses Hauses wie kein anderer, denn er hat fast sein ganzes Leben hier verbracht. „Man hängt irgendwann an dem Haus, auch wenn man weiß, dass man selbst nur ein kleiner Teil in der Geschichte des Hauses ist.“, sagt er. 

Angefangen hat alles 1894, als ein Geschäftsmann aus Regensburg das Haus kaufte. Doch am Anfang interessierte er sich nicht sonderlich für seinen neuen Besitz. Lange Zeit stand es leer. Einer der ersten, historischen Leerstände der Innenstadt sozusagen. Der Mann hatte ebenfalls die alte Ziegelei gekauft und eine Aktiengesellschaft daraus gemacht. Davon lebte er. Dann kam der Börsencrash 1929 und er verlor alles.

Glücklicherweise war er zu diesem Zeitpunkt aber mit der Tochter eines Zuckerbäckers verheiratet und so kam ihm die Idee, ein Kaffeehaus zu eröffnen. „Früher waren hier noch überall schwere Vorhänge und alle Tische standen in kleinen Nischen“, sagt Fritz Wiedamann und zeigt  auf die Tische. Er lässt seinen Blick durch das Café streifen. „Früher wollte man nicht, dass einem ins Essen geschaut werden konnte. Und überhaupt war es ja suspekt, wenn man schon am Nachmittag jemanden in einem Kaffeehaus sitzen sah. Deswegen konnte man mit den Vorhängen auch kaum nach draußen sehen“.

Heute besteht der Raum nicht mehr aus dunklen Nischen, sondern aus einem offenen, hellen Raum mit großen Fenstern. Irgendwie antik wirkt es aber noch immer. Das Holz ist auf Hochglanz poliert. „Das ist alles Ebenholz, das steht heute unter Naturschutz und ist sehr wertvoll. Wir haben das damals ganz günstig in Hamburg ersteigert“, erinnert sich Wiedamann. 

Sein Vater war bereits gelernter Konditor und hatte das Kaffeehaus übernommen und es weitergeführt. 1938 hatte er das Haus komplett neu hergerichtet. Während des zweiten Weltkrieges geriet sein Vater in Gefangenschaft. „Das waren harte Zeiten. Meine Mutter und meine Schwester haben damals versucht, das Kaffeehaus weiterzuführen, aber es war nicht einfach.“ Schließlich wurden sie enteignet und die Amerikaner nutzten die Backstube, um ihre Kantinen zu versorgen.

Glücklicherweise besaß die Familie gegenüber der Konditorei noch ein Haus, in dem sie sich ein neues Geschäft aufbauen konnten. Nach der Gefangenschaft kam sein Vater wieder und das Café erlebte eine neue Blüte. „Die Leute waren nach dem Krieg sehr hungrig auf Süßes, es wurde ja jahrelang verwehrt, da war ein Nachholbedarf da.“ Trotzdem dauerte es einige Jahre, bis die Familie genug Geld zusammen hatte, um sich das enteignete Haus zurück zu kaufen.

Ab da ging es wieder richtig aufwärts. Das Geschäft lief gut. Vater Wiedamann hatte einige Angestellte, eine eigene Köchin und ein Kindermädchen. Seine vier Geschwister entschieden sich alle für andere Berufe, doch Fritz Wiedamann lernte Konditor in München. Nachdem er einige Jahre in München und Frankfurt gearbeitet hatte, hat er schließlich vor 35 Jahren das Geschäft übernommen.

Sein Blick schweift nach draußen, wenn er erzählt, seine dunkelblauen Augen tasten die Spitalstraße ab und den Rathausplatz. Die Haare – obwohl inzwischen weißgrau – sind noch immer dicht und nur um die Augen ziehen sich kleine Falten. Nur an seinen Erzählungen kann man erahnen, wie alt er ist. Im Moment führt er den Laden und das Café ganz alleine. Seine Angestellten sind im Urlaub. Immer wieder tröpfelt ein Kunde herein und Fritz Wiedamann springt auf. Meist sind es Touristen. Und Fritz Wiedamann erzählt ihnen Geschichten aus Ingolstadt, aus Bayern. Den Touristen gefällt das und fast alle kaufen etwas.

Die Einheimischen aber nehmen den Laden nicht so wirklich war. „Mit der Zeit wurde es immer schwerer, den Laden weiter zu führen, da wir sehr viel Konkurrenz bekommen haben.“, sagt Wiedamann. Deswegen habe man sich an den Touristen orientiert. Die Konditorei Wiedamann verkauft deswegen auch Souvenirs aus Ingolstadt. Von Tassen über eine Schokolade mit einem Bild des Münsters bis hin zu Pralinenschachteln mit Ingolstädter Motiven. „Ein großes Problem ist, dass wir keine Außengastronimie haben. Da gehen die Leute einfach vorbei und bemerken uns nicht. Sie gehen lieber zu den Cafés gegenüber.“

Auch wenn es über die Jahre schwer geworden ist, denk Wiedamann noch nicht ans aufhören. „ich bin froh, dass ich mit etwas beschäftigt bin und ich lebe ja auch hier. Meine Tochter wohnt auch in dem Haus. Und in den letzten eineinhalb Jahren haben wir sogar wieder einen kleinen Aufschwung erlebt.“ Einen Nachfolger aber wird es vermutlich nicht geben. „Meine Kinder haben beide studiert, die verdienen mehr Geld als ich, die werden das Café nicht weiterführen“, erzählt er, „ob es ein anderer Konditor übernimmt, das ist die Frage. Im Moment gibt es niemanden, der das machen will.“ 

Solange es sie noch gibt, sollte man sich die Konditorei und das Café auch als Ingolstädter nicht entgehen lassen. Es ist, als tauche man ein in ein anderen Jahrhundert, in eine Zeit, da es noch Kaffeehäuser gab und keine Bars, da der berückende Wiener Charme mehr zählte als "in" zu sein. In eine Zeit, in der die Zeiger der Uhr noch etwas langsamer tickten und das Kaffehaus wirklich noch etwas war wie eine zweite Heimat. 

Und wo bekommt man schon noch selbst hergestellte Süßwaren oder gar die legendäre „Flockensahne“, ein ganz besonderer Kuchen. „Manche kommen nur hierher, weil sie im Internet von der Flockensahne gelesen haben. Auch heute bin ich schon wieder ausverkauft.“


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