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Andreas Schmelzer (35) aus Ernsgaden leidet an Multipler Sklerose, zu seiner Medizin hat er Extrem-Mountainbiken erklärt: Kürzlich wurde er Dritter bei der EM in Davos, morgen startet er in München

(ty/zel) „Das schaff ich, das haut mich nicht um“, war die Reaktion von Andreas Schmelzer aus Ernsgaden, als er vor 13 Jahren von den Ärzten die Diagnose – Multiple Sklerose – erhielt. Der heute 35-jährige Mechatroniker hat sich bei dieser Erkrankung des zentralen Nervensystems bewusst gegen eine lebenslange Einnahme von Medikamenten entschieden und die Herausforderung der „Krankheit mit den vielen Gesichtern“ auf seine ganz eigene Art und Weise angenommen. Er fährt Ultradistanz-Mountainbike-Rennen – und ist dabei so erfolgreich, dass ihn in der Szene inzwischen jeder kennt. Vorletztes Wochenende wurde er Dritter bei der EM in Davos, morgen startet er in München.

 

Der schon immer sportliche junge Mann sah und sieht im Radsport seinen Ersatz für Medizin. Als Vorbild diente ihm wohl sein älterer Bruder Thomas, der auch viel radelt. Täglich legte Andreas Schmelzer nach der Arbeit große Strecken auf seinem Mountainbike zurück und überschritt dabei so manches Mal seine physische und psychische Belastbarkeit. Bereits damals hat er an seinem Mountainbike einen Aufkleber mit dem Satz „You can do it!“ angebracht. Lächelnd erreichte er sein Ziel dank dieser aus dem Sattel gut leserlichen Aufforderung dann oft doch noch – nicht wissend indes, dass „You can do it“ noch so etwas wie sein Lebensmotto werden sollte. 

Im Jahr 2011 startete Andreas Schmelzer in München bei seinem ersten 24-Stunden-Rennen, doch gesundheitliche Gründe zwangen ihn nach etwa der Hälfte der Zeit zur Aufgabe. Auch beim zweiten Versuch im Jahr darauf spielte sein Körper nicht mit, wieder musste er aussteigen. Beim dritten Anlauf im Jahr 2013 hielt er durch, landete – erneut in München – in der Gesamtwertung auf Rang sieben.

 

Wie es dann zur Teilnahme an seinem ersten großen 24-Stunden-Rennen außerhalb Deutschlands – in Ligure im Mai vergangenen Jahres – kam, das weiß er nicht mehr so genau. „Aber die Herausforderung, da mitzumachen und vielleicht sogar noch einen Preis zu holen, war enorm“, erinnert er sich. Mit Zustimmung von Freundin – der heutigen Ehefrau – und der Familie habe er sich angemeldet. Als Solofahrer hat er sich bei diesem Event – das zugleich die EM war – auf den elften Platz vorgearbeitet – obwohl er nach elf Stunden mit Krämpfen in den Händen ausstieg. Und er hat dieses Rennen als „I can do it!“ erlebt – der Grundstein für weitere Herausforderungen war damit gelegt.

 

Sein nächstes 24-Stunden Rennen bestritt er am 6. und 7. Juni 2015 im Münchner Olympiazentrum. Dieses Mal fuhr er unter den rund 90 Teilnehmern zunächst auf Platz sechs vor – durch eine Reifenpanne fiel er auf Rang 21 zurück, holte aber innerhalb von zwei Stunden wieder auf und konnte den sechsten Platz bis zum Ende trotz widrigster Wetterverhältnisse halten. Als er sich nach dem Wettkmapf auf der Olympiawiese ausruhte, sprach ihn eine junge Schweizerin an: „Du bist gut, du solltest bei dem 24-Stunden-Rennen in Davos mitmachen.“ Schmelzer tat also genau das – und gewann!

 

Vorletztes Wochenende, ein Jahr nach diesem Triumph, war es wieder so weit. Schmelzer ging erneut bei dem 24-Stunden-Rennen in Davos an den Start – diesmal zugleich die Europameisterschaft der Einzelfahrer, weshalb die Konkurrenz besonders stark war. Die Strecke kannte er von seinem famosen Ritt im Vorjahr. Doch die Vorbereitungen seien diesmal schwierig gewesen. „Die Multiple Sklerose meldete sich. Ich hatte viele Krämpfe, sogar nachts im Schlaf“, berichtet er. Erst die Massage-Praxis Schnell in Geisenfeld habe überhaupt das Training möglich gemacht. Außerdem geht sein Dank an Fahrrad Brenner in Ingolstadt für die technische Unterstützung. „Zusätzlich Kraft haben mir meine Frau und unser am 4. Juni geborener Sohn Anton gegeben“, sagt Schmelzer im Gespräch mit unserer Zeitung.

 

Am Freitag wurde in Davos angereist. Mit dabei als Betreuer: Schmelzers Freunde Daniel und Marco sowie sein Sportskamerad Herbert Luther aus Wolfratshausen, der in der Senioren-Wertung den dritten Platz einfahren sollte. Beim Wettkampf herrschte reinstes April-Wetter. „Sonnenschein wechselte sich ab mit strömenden Regengüssen.“ Die zwölf Kilometer lange und 450 Höhenmeter umfassende Strecke sei aufgeweicht gewesen, berichtet Schmelzer. Wurzeln, Felsen, Steine – alles rutschig. „Die Abfahrten waren gefährlich.“ 

Bald nach dem Start, der am Samstag um 14 Uhr bei strömendem Regen erfolgte, stellte sich weitere Ernüchterung bei dem 35-jährigen Ernsgadener ein. „Einige Fahrer waren viel schneller als ich, das hat mich etwas eingeschüchtert.“ Doch er hat inzwischen ja Erfahrung. „Ich musste ruhig bleiben, habe mein Tempo beibehalten.“ Die Taktik ging auf: Am Abend war Schmelzer bereits in den Top-Ten.

 

Über Nacht gab es für ihn jetzt nur ein Motto: „Volles Rohr!“ Die Betreuer seien „hellwach gewesen“, lobt er, sie versorgten ihn mit Verpflegung sowie mit Infos über Platzierungen und Abstände. So kämpfte sich Schmelzer auf Rang drei vor, ehe böse Rückenschmerzen nach 20 absolvierten Stunden die Aufholjagd stoppten. „Die Physiotherapeutin tat ihr Möglichstes, doch die Verfolger kamen immer näher.“ Platz drei war nun ernsthaft in Gefahr. 

Doch er gab nicht auf. „Ich bin mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück auf die Strecke und habe alles gegeben, was noch drin war.“ Immer wieder im Blick der Aufkleber am Bike: „You can do it!“ Und er tat es: Hielt bis zum Schluss durch, hatte am Ende 28 Runden à zwölf Kilometer absolviert und war Dritter!

 

Erschöpfung, Schmerz und Emotionen pur. Was da am Ende passiert ist, kann Schmelzer nur noch bruchstückhaft zusammenfassen: „Überglücklich mit letzter Kraft das Rad im Ziel hochgehoben, die Freude rausgeschrien und meinen Freunden Daniel und Marco in die Arme gefallen.“ Bei der Siegerehrung, das gibt er unumwunden zu, sei ihm dann auch die eine oder andere Träne gekommen. 

Was der 35-Jährige da aus sich herausgeholt hat, kann vermutlich nur er selbst richtig einschätzen. Doch selbst angesichts dieses neuerlichen Erfolgs gibt er sich bescheiden. Das zeige doch, sagt er, dass auch die kleineren Vereine aus der Region – wie hier die Radsport-Abteilung des TSV Kösching – Spitzensportler beherbergen, „die vorbildlich gefördert werden“. Froh sei er, sagt Schmelzer, dass sich das harte Training, das viele in den Sport gesteckte Geld, sowie „die Nerven und die Geduld meiner Frau“ gelohnt haben.

 

Sein nächster Wettkampf findet schon an diesem Wochenende statt, wenn von Samstag auf Sonntag das 24-Stunden-Rennen im Münchner Olympiapark steigt. Langfristig bereitet sich Schmelzer auf die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Italien vor. „Da ist für mich eine Top-Platzierung möglich.“ Und das sei zugleich die wohl einzige realistische Chance, auf der großen internationalen Bühne mitzumischen. „Reisen zu Wettkämpfen in den USA, Neuseeland oder Schottlang waren in den vergangenen Jahren finanziell einfach nicht drin.“ Doch die WM in Italien, das sei machbar, sagt er – und hofft nun inständig auf die Unterstützung von Sponsoren, um sich diesen sportlichen Wunsch erfüllen zu können. Er gibt sich optimistisch, getreu seinem Motto: „You can do it.“

 


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