Der 28-Jährige, der inzwischen wegen versuchten Mordes in U-Haft sitzt, soll alles auf Video aufgenommen haben.
(ty) Die Anzeige einer Schülerin aus dem Kreis Fürstenfeldbruck, die Opfer von lebensgefährlichen Stromschlägen geworden war, hatte die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Nun sitzt ein 28-Jähriger aus dem Raum Würzburg wegen versuchten Mordes in U-Haft. Er steht im Verdacht, sich über Jahre als Arzt ausgegeben sowie über das Internet seine Opfer rekrutiert und ihnen Geld dafür in Aussicht gestellt zu haben, wenn sie an einem vermeintlichen medizinischen Forschungs-Experiment teilnehmen. Die arglosen Frauen habe er dann angewiesen, Apparaturen zu basteln und sich mit diesen selbst Stromstöße zu versetzen.
Der Fall ist schockierend und macht sprachlos. Die Hintergründe der Taten beziehungsweise die Motivation des Beschuldigten sind derzeit offenbar noch völlig unklar. Als die Polizei vor einigen Wochen zugriff, soll der 28-Jährige jedenfalls gerade dabei gewesen zu sein, über das Internet mit einem neuen Opfer Kontakt zu knüpfen. Wie das Polizeipräsidium Oberbayern-Nord heute mitteilte, wird es noch dauern, bis alle mutmaßlichen Opfer identifiziert und befragt sind. Die Ermittler fanden nämlich nach eigenen Angaben mehr als 200 Videos, die der Beschuldigte von seinen Opfern gefertigt hatte.
Bislang ist Folgendes bekannt: Ausgehend von der Anzeige einer 16-jährigen Schülerin aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck, die im Januar dieses Jahres zum Opfer von lebensbedrohlichen Stromschlägen geworden war, hatte die Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck laut heutiger Mitteilung in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft München II eine eigene Ermittlungsgruppe („EG Strom“) gebildet. Und was die seitdem herausgefunden hat, ist kaum zu glauben und noch schwerer zu fassen.
Der zunächst Unbekannte steht demnach im Verdacht, bereits seit dem Jahr 2014 bundesweit – in bislang etwa 120 bekannten Fällen – potenzielle Opfer, die über eine Online-Plattform ein Inserat auf der Suche nach einem Nebenjob aufgegeben hatten, per E-Mail angeschrieben zu haben. Er habe sich gegenüber den Frauen als Arzt einer bekannten Universität ausgegeben sowie ihnen finanzielle Vergütungen in Aussicht gestellt, falls sie im Rahmen einer angeblichen medizinischen Forschung an einem Experiment durch Stromstöße teilnehmen würden.
Wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord gegenüber unserer Zeitung erklärte, handelt es sich bei allen bislang bekannten mutmaßlichen Opfern um – zumeist junge – Frauen. Zwischen 16 und Mitte 30. Die arglosen Teilnehmerinnen dieses vermeintlichen Forschungs-Experiments „wies der Täter via Internet an, Apparaturen zusammenzustellen und sich mittels dieser selbst Stromstöße zu versetzen“, wurde heute dazu erklärt. Auch ein Foto hat die Polizei heute veröffentlicht, das eine solche Apparatur zeigt.
„Trotz der Verschleierungs-Techniken des falschen Arztes gelang es den Ermittlern, dessen Identität zu klären“, meldet das in Ingolstadt ansässige Polizeipräsidium heute. Bereits am 14. Februar sei der 28-jährige IT-Fachmann schließlich an seinem Wohnsitz im Landkreis Würzburg festgenommen worden. Die Beamten überraschten den Tatverdächtigen laut heutiger Mitteilung, als dieser gerade dabei war, Kontakt mit einem neuen Opfer zu knüpfen. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft München II erließ der Ermittlungsrichter einen Haftbefehl wegen versuchten Mordes gegen den Mann. Der Beschuldigte befindet sich seither in Untersuchungshaft.
Bei der Auswertung der sichergestellten Datenträger – so heißt es weiter – fanden die Ermittler mehr als 200 Video-Aufzeichnungen, die der Festgenommene von seinen „Probanden“ gefertigt hatte. „Die Identifizierung und Vernehmung der mutmaßlichen Geschädigten wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen“, sagte ein Polizei-Sprecher. Der bislang noch nicht polizeilich in Erscheinung getretene Beschuldigte habe mittlerweile ein Teilgeständnis abgelegt.
Die Hintergründe der Taten bedürften noch der weiteren Abklärung. Auch das Motiv liegt offenbar noch im Dunkeln. Eine sexuelle Motivation könne man vordergründig nicht unterstellen, hieß es gegenüber unserer Zeitung aus dem Polizeipräsidium. Die Frauen waren angeblich normal bekleidet, als sie die lebensgefährlichen "Experimente" durchführten beziehungsweise dabei gefilmt wurden.