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Studie zu Kinderarmut: Im Landkreis leben nur 2,3 Prozent der Sprösslinge unter drei Jahren in Hartz-IV-Familien – bundesweit sind es 17,1 Prozent, bayernweit 8,3 Prozent. Untersuchung zeigt: Ein Aufwachsen in Armut beeinträchtigt die Entwicklung

(ty/zel) In Deutschland wachsen 17,1 Prozent der Kinder unter drei Jahren in Familien auf, die von Hartz-IV leben. Wie wirkt sich das auf die Entwicklung dieser Buben und Mädchen aus? Eine Analyse von Schuleingangsuntersuchungen zeigt jetzt auf: Armutsgefährdete Kinder sind schon bei Schuleintritt benachteiligt. Außerdem geht aus der Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor: Die Kinderarmut ist regional sehr ungleich verteilt: Bundesweit am niedrigsten ist die Quote der Unter-Dreijährigen, die in Familien leben, die Grundsicherung beziehen, im Landkreis Pfaffenhofen – gerade einmal 2,3 Prozent sind es hier. Zum Vergleich: In Ingolstadt sind es 10,6 Prozent. Deutschlandweit am höchsten ist die Quote mit 40,3 Prozent in Bremerhaven. 

Für den gesamten Freistaat Bayern liegt die Quote bei 8,3 Prozent. Auf Anfrage unserer Zeitung teilte das Bertelsmann-Institut die Werte für folgende weiteren Landkreise und Städte in der Region mit:

  • Kreis Eichstätt: 2,7 Prozent
  • Kreis Neuburg-Schrobenhausen: 4,5 Prozent
  • Kreis Kelheim: 3,2 Prozent
  • Kreis Freising: 2,9 Prozent
  • Kreis Dachau: 4,9 Prozent
  • Regensburg: 11,9 Prozent

Besonders stark betroffen von Kinderarmut sind der Studie zufolge Nordrhein-Westfalen auch Teile Ostdeutschlands und Großstädte sowie altindustrialisierte Regionen, wie zum Beispiel im Saarland.

Ein Aufwachsen in Armut beeinträchtigt die Entwicklung von Kindern. Schuleingangsuntersuchungen dokumentieren bei Sprösslingen, deren Familien von staatlicher Grundsicherung (Hartz-IV) leben, mehr als doppelt so häufig Defizite in der Entwicklung wie bei Buben und Mädchen, die in gesicherten Einkommensverhältnissen aufwachsen. Das belegt die Studie. Die Fünf- und Sechsjährigen aus Familien, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, sprechen demnach schlechter Deutsch, können schlechter zählen, leiden öfter unter Konzentrationsmängeln, sind häufiger übergewichtig und verfügen über geringere Koordinationsfähigkeiten.

Das Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung an der Universität Bochum und die Stadt Mülheim an der Ruhr haben im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung die Daten von knapp 5000 Schuleingangsuntersuchungen aus den Jahren 2010 bis 2013 ausgewertet. Während 43,2 Prozent der armutsgefährdeten Kinder mangelhaft Deutsch sprechen, wurde dies nur 14,3 Prozent der nicht-armutsgefährdeten Kinder attestiert. Probleme in der Körperkoordination haben 24,5 Prozent der Kinder aus Hartz-IV-Familien – bei den übrigen waren es nur 14,6 Prozent.   

Ähnliches gilt für die Visuomotorik, die Koordination von Auge und Hand (25 zu elf Prozent). 29,1 Prozent der armutsgefährdeten Kinder haben Defizite in ihrer selektiven Wahrnehmung (übrige: 17,5), Probleme beim Zählen haben 28 Prozent (übrige: 12,4). Adipös, also deutlich übergewichtig, sind 8,8 Prozent der Kinder, die von staatlicher Grundsicherung leben – im vergleich zu 3,7 Prozent aus den übrigen Familien.

Früher Kita-Besuch hilft nicht automatisch

„Diese Auffälligkeiten gehen einher mit einer geringeren Teilhabe der armutsgefährdeten Kinder an sozialen und kulturellen Angeboten“, wie es heißt. So erlernen lediglich zwölf Prozent dieser Kinder ein Instrument – bei den Kindern aus den übrigen Familien sind es 29 Prozent). Vor Vollendung des dritten Lebensjahres gehen 31 Prozent der armutsgefährdeten Kinder in eine Kita (übrige: 47,6). Und nur 46 Prozent der armutsgefährdeten Kinder sind vor Schuleintritt in einem Sportverein (übrige: 77). Gerade die Mitgliedschaft in einem Sportverein wirke sich aber nicht nur auf die Entwicklung der Körperkoordination positiv aus, sondern auf alle Entwicklungsmerkmale, so die Studie. 

Ein früher Kita-Besuch kann den Ergebnissen zufolge negative Folgen von Kinderarmut verringern, allerdings sei das kein Automatismus. Positive Effekte für die Entwicklung der Kinder treten demnach nur dann ein, wenn die Kita-Gruppen sozial gemischt sind. „Weil aber Armut innerhalb einer Stadt höchst unterschiedlich verteilt ist, können Kitas in sozialen Brennpunkten genau diese Heterogenität oftmals nicht gewährleisten“, heißt es dazu. In Mülheim etwa liegen in einigen Stadtvierteln die Armutsquoten über 50 Prozent. Deshalb empfehlen die Autoren der Studie, die Ressourcen nicht nach dem "Gießkannenprinzip" zu verteilen: "Kitas in sozialen Brennpunkten brauchen mehr Geld, mehr Personal und andere Förderangebote", sagt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. 

„Kein Kind zurücklassen“

Die Bertelsmann-Stiftung hat deshalb gemeinsam mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in 18 Städten und Kreisen das Pilotprojekt "Kein Kind zurücklassen" gestartet. Gemeinsam mit Kommunalpolitik und Verwaltung sollen Präventionsketten entwickelt werden, um die Entwicklung armutsgefährdeter Kinder frühzeitig zu fördern. Dazu gehöre, Hartz-IV-Familien gezielt anzusprechen und zu motivieren, ihrem Kind einen Kita-Besuch zu ermöglichen. Außerdem sollen etwa Brennpunkt-Kitas stärker mit sozialen Diensten sowie Sport- und Kulturvereinen im jeweiligen Stadtteil zusammenarbeiten. Ein wichtiges Ziel sei, kommunale Gelder neu zu verteilen und sich dabei stärker an den Bedarfen der Kitas und Stadtviertel zu orientieren.

"Gerade Städten wie Mülheim, die unter knappen Kassen und hoher Arbeitslosigkeit leiden, macht die Studie Mut, weil eine gute kommunale Sozialpolitik die Folgen von Kinderarmut spürbar reduzieren kann", sagt Mohn. Eine bedarfsgerechte und wirkungsorientierte Steuerung sei umso wichtiger, weil Kinderarmut kein Randphänomen sei. In Nordrhein-Westfalen leben 20,7 Prozent der unter Dreijährigen in Familien, die auf Sozialgeld angewiesen sind, im Ruhrgebiet sogar 28,3 Prozent. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Grundsicherung beziehenden Sechsjährigen sind schon seit mindestens vier Jahren in der staatlichen Grundsicherung.

Die vollständige Studie finden Sie hier.


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